von Rotblaue_Geschichten » 05.08.2008, 14:17
Polizei unter Beobachtung: Wir sind doch nicht in der Wilhelma
Friedlicher Saisonauftakt im Gazi-Stadion auf der Waldau - Neugierige Blicke der Fans in den Wachcontainer
Weil die mobilen Arrestzellen nicht rechtzeitig geliefert worden sind, hat die Polizei am Samstag einige Düsseldorfer Fußballfans von Degerloch auf den Pragsattel gebracht und dort eingesperrt. Die provisorische Stadionwache ist ein Witz.
Das ist sie also, Stuttgarts Davidswache. Über keine Polizeistation ist zuletzt so prominent berichtet worden wie über das Provisorium neben der Haupttribüne im Gazi-Stadion auf der Waldau. Diese Wache ist sogar noch provisorischer, als man nach den Debatten über die falsch gelieferten Container in den vergangenen zwei Wochen erwarten durfte.
Der größte Witz sind die als Arrestzellen gelieferten Behältnisse, die ein renitenter Fan im Nu zerlegt hätte. Dünne Wände, zugängliche Steckdosen und Scheinwerfer - die Zelle hat wirklich alles, was ein Verwahrungsraum nicht haben darf. Sogar einen Zaun mit messerscharfen Schweißnähten. Den hat der Lieferant eingezogen, damit der Delinquent nicht durchs Panoramafenster türmen kann. Der Einsatzleiter Stefan Hartmaier hat die Zellen zweckentfremdet. Eine dient den Kollegen als Aufenthaltsraum, in der anderen werden Personalien aufgenommen.
Der Tresen im Wachraum ist Teil einer mobilen Bühne, das übrige Mobiliar scheint vom Sperrmüll zu stammen. Neu und zahlreich vorhanden sind dagegen Heizgeräte. Am schwül-warmen Samstag wurden sie nicht benötigt, vielleicht aber am übernächsten Wochenende, wenn auf der Waldau der VfB Stuttgart II gegen Wuppertal spielt. Bis dahin will man auf jeden Fall einen Sichtschutz vor den Vernehmungscontainer gestellt haben. Das erscheint nötig, weil sich die Polizei wie bei "Big Brother" vorgekommen ist. Fußballfans drückten sich die Nasen an der Fensterscheibe platt, um zumindest einmal indirekt an einem Verhör teilzunehmen. "Wir sind doch nicht in der Wilhelma", hat ein Polizist auf die Frage eines Kickers-Rentners geantwortet, warum denn Gucken verboten sei. Eine Kollegin klagte: "Wir können nicht einmal jemanden zwingen, die Hosen auszuziehen, um ihn zu durchsuchen." Dafür ist der Container mit dicken Stahlträgern gegen Astbruch gesichert. Die Forstverwaltung hat darauf bestanden.
Mitte August sollen die richtigen Container geliefert werden, und in der nächsten Saison wird sowieso alles besser, zumindest bei der Polizei. Die Haupttribüne erhält dann im Rahmen des Umbaus eine neue Wache und eine Regiekanzel. Am Samstag haben Hartmaier und vier Kollegen in zwei Miniglaskästen geschwitzt. Aber die neue Videoüberwachung mit drei Kameras hat das 0:2 der Kickers einwandfrei aufgezeichnet.
Viel zu tun gab es beim ersten Heimspiel nicht, obwohl die Fans von Fortuna Düsseldorf keine Chorknaben sind. 1500 Mann stark sind die rheinischen Frohnaturen angereist und haben aus dem Auswärts- ein Heimspiel gemacht. Aber nicht alle Düsseldorfer haben das Spiel live erlebt. Eine Stunde vor Beginn hat die Polizei ihren Verhörraum mit einem Anhänger eingeweiht, der glaubte, "ACAB" skandieren zu müssen. Weil die englisch sprechenden Beamten die Meinung vertreten, dass "Cops" in gar keinem Fall Bastarde seien, haben sie den Mann in Gewahrsam genommen. In Ermangelung einer geeigneten Räumlichkeit wurde er in die Zentrale auf dem Pragsattel gefahren. Dort ließ man ihn und noch zwei weitere Fans eine halbe Stunde vor Spielende ziehen - sie konnten mit der Stadtbahn zurück nach Degerloch, um den Bus nach Hause zu bekommen. "Das gibt"s nur in Stuttgart", beklagte sich einer der Beleidiger mit der Rückennummer 4. "Stimmt", sagte Einsatzleiter Hartmaier mit gewissem Stolz. Er hofft, dass sich in der 3. Liga schnell herumspricht, was Fans von Erstligisten längst wissen: Die Stuttgarter Polizei fährt eine Nulltoleranzlinie.
Null Toleranz ist auch die Linie des Fußballbunds, dem eingefallen ist, für die eingleisige 3. Liga höhere Anforderungen an die Ausstattung der Stadien und die Sicherheit zu stellen. Deshalb gibt es auf der Haupttribüne jetzt Schalensitze; und 30 Beamte mehr als bei Kickers-Spielen sonst üblich mussten ihren Samstag opfern. Für die Polizisten steht fest: VfB Stuttgart, VfB II und Kickers sorgen künftig für prall gefüllte Überstundenkonten.
Quelle: Stuttgarter Zeitung