von H-Torsten » 11.04.2007, 21:16
Das Thema ist jetzt auch wieder hier in der Region Hannover aktuell geworden. Kommende Woche gibt es einen entsprechenden Prozess. Die Neue Presse Hannover hat heute (11.04.2007) einen etwas längeren Artikel mit Aufmacher auf der Titelseite dazu gebracht.
Tritte, Schläge! Schiri-Hölle Kreisklasse
Die Angst pfeift mit: Schiedsrichter aus der Region zur NP über Brutalität in den unteren Ligen
VON MIRKO VOLTMER
HANNOVER. Für eine rote Karte gibt es schnell ein blaues Auge ...
Beleidigungen, Bespucken, aber immer öfter auch Tritte und Schläge für den Schiedsrichter - bei Fußballspielen besonders in den unteren Klassen pfeift die Angst mit. Angriffe auf den "schwarzen Mann" gehören fast zur Tagesordnung.
Wie brutal es dabei zugehen kann, zeigt der Fall von Schiedsrichter Andreas N. Als er in der Wedemark ein Punktspiel in der Kreisklasse anpfeift, gehts auf dem Rasen gleich giftig zu. Dann der erste Spruch: "Blöder Wichser!" Er stellt den Spieler vom Platz. Zweimal noch zückt der junge Schiedsrichter Rot, dann wird Fußball zur Nebensache. In der 88. Minute stürzen sich frustrierte Spieler der Gästeelf auf ihn, reißen am Trikot, springen ihm in den Rücken. Er wird geschubst und geschlagen. Der Schiedsrichter erstattet Anzeige. Der Prozess läuft nächste Woche Mittwoch vor dem Neustädter Amtsgericht.
Andreas N. frustriert: "Als Schiedsrichter bist du immer der -zensiert-." 17 Euro Spesen und 26 Cent Kilometergeld bekommt er dafür, dass er an den Wochenenden auf dem Platz steht. Dabei war er am Anfang noch Idealist, machte es, weil es Spaß gemacht hat.
Aber es wird immer schlimmer. "Aus Angst vor Übergriffen trauen sich manche gar nicht mehr, überhaupt noch eine Karte zu zeigen."
Was in der Region am Pöbeleien, Bedrohungen und Tätlichkeiten aktenkundig wird, landet bis zur Kreisklasse bei Sportrichter Gerd Müller (63) - allein in der Saison 2005/2006 waren es 32 Verfahren.
Immer mehr Gewalt gegen Schiris: "So krass hab' ich es noch nie erlebt"
Treten, Spucken, Beleidigen - wer hat noch Angst vorm schwarzen Mann? Ein Fußball-Schiedsrichter berichtet.
VON MIRKO VOLTMER
REGION. Es ist ein milder Sonnabendnachmittag im Herbst gewesen, als Andreas N. (Name geändert) auf einem Platz in der Wedemark ein Spiel der Kreisklasse anpfeift. Auf dem Rasen geht es von Anfang an ruppig zu. "Das gibt noch was", habe er im Bauch gespürt, als er den ersten Gästespieler wegen eines "Blöder Wichser"-Spruchs vom Platz stellte. Zweimal noch zückte der junge Schiedsrichter Rot, dann wurde der Sport zur Nebensache. In der 88. Minute stürzten sich Spieler der geschrumpften Gästeelf auf ihn, rissen an seinem Trikot, schubsten ihn, sprangen ihm in den Rücken, schlugen N. gegen die Brust.
Nachdem er den üblen Kick abgebrochen hatte, war es längst nicht vorbei. "Ich sorge dafür, dass sie nie wieder pfeifen!", erinnert er sich an die Worte des Trainers der Prügler im Kabinengang.
"So krass habe ich das noch nie erlebt", erzählt Andreas N. - immer noch ein wenig verstört. Damals war er tags darauf zur Polizei gegangen und zeigte zwei Spieler an. Am nächsten Mittwoch, 18. April, läuft der Prozess vor dem Neustädter Amtsgericht.
"Als Schiedsrichter bist du immer der -zensiert-", bemerkt N. 17 Euro Spesen und 26 Cent Kilometerpauschale bekommt er dafür, dass er an den Wochenenden seine Zeit auf den Fußballplätzen verbringt. Ums Geld geht es N. aber eigentlich nicht. "Machs doch besser!", blaffte ihn ein Schiedsrichter vor rund vier Jahren auf dem Platz an. Da war er noch Spieler. "Ich meldete mich zum Lehrgang an", sagt N. - er legte eine fehlerfreie Prüfung ab.
Schiri sein, dass mache im Spaß - doch seien die Grobheiten gegen Unparteiische seinem Empfingen nach häufiger geworden. Ohrfeigen, Beleidigungen wie "Hurensohn", Kopfnüsse: All dies habe er von Kollegen gehört oder selbst erlebt. "Aus Angst vor Übergriffen trauen sich manche gar nicht mehr, überhaupt eine Karte zu zeigen."
Etwas verdruckst fügt Andreas N. hinzu, dass es besonders Spieler und Mannschaften mit Migrationshintergrund seien, die auf dem Platz schnell ausrasten würden. Wenn diese sich ungerecht behandelt fühlten, sei der Konflikt programmiert.
Auch Sportrichter Gerd Müller sieht aufgrund der Mentalität dieser Spieler eine "gewisse Brisanz" - ein Verein kurdischer Fußballer, der wiederholt durch Ausschreitungen aufgefallen war, sei aus dem Verkehr gezogen worden. Müller betont aber, dass für den schlimmsten Fall, den er verhandelt hatte - ein Spieler verlor sein Augenlicht - deutsche Täter verantwortlich waren. Auch bei N. schlugen Deutsche zu.
"Wir müssen unsere Schiris schützen"
Prominente Fälle wie der des schwedischen FIFA-Referees Anders Frisk, der nach Morddrohungen von Fans gegen sich und seine Familie im März 2005 aufgab, rückten das Thema Gewalt gegen Schiedsrichter in den Vordergrund. Aber: Im November wurde im westfälischen Siegerland wegen der Zunahme brutaler Attacken auf Schiedsrichter ein kompletter Spieltag abgesagt.
Was an Pöbeleien, Bedrohungen und Tätlichkeiten auf und am Rande des Rasens aktenkundig wird, landet in der Region Hannover bis zur Kreisliga bei Gerd Müller (63), Sportrichter seit 16 Jahren. In der Saison 2005/2006 verzeichnete er 32 Verfahren, davon allein die Hälfte wegen verbaler Aggressionen und Handgreiflichkeiten gegenüber den Männern in Schwarz. Insgesamt verhängte Müller gegen Spieler und Trainer 56 Monate Sperre und 1200 Euro an Geldstrafen gegen Vereine.
Die Motive der Täter seien oftmals Ausdruck privater Probleme, so Müller. Über den Sport würden angestaute Frustrationen kanalisiert.
Fußballer müssten viel mehr Verständnis für die Unparteiischen aufbringen: "In der 4. Kreisklass erwarten die einen Schiedsrichter mit Bundesliganiveau." Müller: "Wir müssen unsere Schiris schützen - ansonsten haben wir nicht mehr viele."
Denn immer weniger wollen pfeifen, der Großteil der rund 520 Schiris in der Region ist über 50 Jahre alt. "Die Fußball-WM hat bei uns keinen Boom ausgelöst", bedauert Volker Kampe von der Schiedsrichtervereinigung Hannover-Land. Von 60 ausgebildeten Nachwuchsschiedsrichtern pro Jahr blieben zwei bis drei übrig, die weitermachen, sagt Kampe. mv
Quelle: Neue Presse Hannover, 11.04.2007