Der magische Klopp

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Der magische Klopp

Beitragvon blauesmiststueck » 30.11.2005, 9:14

So voll war der Hörsaal 1 der Mainzer Sport-Uni noch nie, jedenfalls konnten sich daran auch älteste Semester nicht erinnern. Den Andrang hatte Jürgen Klopp ausgelöst, der Trainer des örtlichen Bundesligaklubs. Der Psychologieprofessor Michael Macsenaere hatte zum Gespräch geladen - Thema "Mentales Coaching im Profifußball" - und den Gast als "komplettesten Trainer der Bundesliga" vorgestellt.


"Er bringt, was die mentale Seite betrifft, am meisten mit von allen." Klopp, 38 Jahre alt, hat sein Sportstudium drüben in Frankfurt vor zehn Jahren abgeschlossen, und wenn er jetzt vor dem großen Auditorium steht, wundert er sich selbst ein wenig: "Es kann wirklich aus jedem etwas werden."

„Früher nannte man das einen Schwätzer”

Klopp fühlt sich wohl vor großem Publikum, das ist nicht zu übersehen, aber er ist kein Selbstdarsteller. Er geht auf alle zu, aber er wahrt Distanz zu sich, und seine feine Selbstironie macht auch dem Profi-Psychologen zu schaffen. Einen "großen Kommunikator" nennt ihn der Professor, Klopp nickt und sagt freundlich: "Ja, früher nannte man das einen Schwätzer."

Zur Sache: "Mentales Coaching im Profifußball". Es gilt eine lange Themenliste abzuarbeiten, per Flipchart an die Wand geworfen. Klopp erzählt die Geschichte, wie er vor vier Jahren einen Film über die All Blacks gesehen hat, die legendäre Rugby-Nationalmannschaft Neuseelands. Er hat die Spieler erzählen hören vom magischen Moment, in dem sie die schwarzen Trikots überstreifen, vom Augenblick, der ein Versprechen ist, von nun an das Letzte zu geben, um dieser Ehre gerecht zu werden.

„Da spielt man auch mit Bänderriß”

Dieser Pathos, erzählt Klopp, habe ihn fasziniert. Er habe seiner Mannschaft diesen Film gezeigt, nicht ohne Zweifel, und am Ende hätten alle gemeinsam beschlossen, die "All Reds" zu werden. "Von da an", sagt Klopp, "hieß es für alle: Wer das Mainzer Trikot anzieht, muß den Schalter umlegen, dann sind nur noch hundert Prozent erlaubt." Das erzählt er jedem Spieler, der zum FSV kommen will, und wen diese Geschichte nicht fasziniert, ist an der falschen Adresse, weil sie am Standort Mainz nur als verschworene Gemeinschaft eine Chance haben, eine Bundesligasaison ohne Abstieg zu überstehen.

Noch heute hören sie, wenn sie am Spieltag mit dem Bus ins Stadion fahren, den Haka, den Kampftanz der All Blacks. "Dann gibt es kein morgen", sagt Klopp. "Dann haben wir unser Wochenendspiel, unser WM-Finale, und da spielt man auch mit Bänderriß." Das alles sei Hobbypsychologie, sagen die Hobbypsychologen höhnisch, ein Profi sieht das anders. Macsenaere definiert es als Motivation in der Vorstartphase. Ja, sagt Klopp, "wir machen ganz viele Sachen, wir wissen nur nicht, wie sie heißen."

„Kann irgend jemand kochen?”

Klopp erzählt weiter, 2002 war er mit seiner Mannschaft vier Tage auf einer winzigen Hütte im Schwarzwald. Selbstversorger. Radtouren bis zur Erschöpfung, danach in die Gemeinschaftsküche und die große Frage: "Kann irgend jemand kochen?" Teambuilding nennt das der Professor, es gibt viele Theorien darüber, Klopp verkürzt sie auf den Satz: "Entscheidend ist, daß diese Tage in Erinnerung bleiben." Die Normalität hingegen verschwimmt: "Ich hatte als Spieler vierzig Trainingslager", sagt er. "Sind alle vergessen."

Zwei Jahre später, nach dem Aufstieg, waren sie mit Kanus unterwegs in Schweden. Kaum etwas zu essen, nur Seewasser zu trinken. Auch dort dieselbe Idee: Die Sportler auf Menschen reduzieren und auf das Gefühl, gemeinsam etwas geschafft zu haben. "Bestimmt haben sie auch dafür ein Fremdwort", sagt Klopp, und natürlich ist das kein Problem für den Professor.

„Wir haben die Stärken der Bayern 75 Minuten ignoriert”

Am vergangenen Samstag haben die Mainzer in München ein prima Spiel geliefert. 1:2 verloren, aber den großen Meister mit mutiger Offensive in arge Bedrängnis gebracht. Den Mainzer Studenten gab Klopp einen Einblick in die Vorbereitung auf dieses Spiel. Gewöhnlich stelle er ein Video zusammen, das die Schwächen des Gegners zeige. "Es ist gar nicht so einfach, ein Band zusammenzuschneiden, auf dem der Gegner gar nichts mehr kann. Wir können das, wir sind wahre Meister darin." Nur: Bei den Bayern hat das nicht geklappt, deshalb gab es keine Bilder. Statt dessen ein anderer psychologischer Ansatz: "Man muß sich Dinge vorstellen, damit sie eintreten können." Deshalb saßen sie in der Kabine und malten sich den Sieg aus. "Wir phantasierten uns auf Augenhöhe", sagt Klopp. "Wir haben uns vorgestellt, denen richtig einen vor den Latz zu knallen." Auf dem Platz hat das lange Zeit funktioniert: "Wir haben die Stärken der Bayern 75 Minuten ignoriert. Es hat nicht ganz gereicht."

Am Ende, nach zwei Stunden, will der Professor wissen, ob "das System Klopp" auch bei Bayern München funktionieren würde oder bei Real Madrid. "Man muß nicht überall das gleiche machen", sagt der Trainer. "Man muß schauen, wie man mit den Möglichkeiten umgeht, die man vorfindet. Ich würde die Bayern-Spieler nicht gleich nach Schweden in die Wildnis schicken." Die Real-Stars schon eher: "Einigen von ihnen würden ein paar Tage bei Wasser und Brot guttun." Am Ende langer Applaus. "Danke", sagt der Professor. "Es war ein Fest". Er und seine Studenten - sie wirkten richtig motiviert.

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Beitragvon Prytzgyl » 30.11.2005, 9:18

Ja, der ist klasse... und der Bruder von Benjamin Weigelt (Abwehr) tippt bei uns doch tatsächlich beim Tippspiel mit! :D
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Beitragvon Hamsn » 01.12.2005, 22:59

Der war jetzt sogar in der "Indopendent" (Dormunder Unipostilie). So frei nach dem Motto: Der hats geschafft - letztes Jahr noch Student heute schon Berater auf der Konaktiva! Absoluter Brüller :lol: :lol: :lol:
Ich hätte viel mehr verstanden, hätte man mir nicht so viel erklärt.
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Beitragvon Prytzgyl » 02.12.2005, 0:13

Theo?????! :shock:
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Beitragvon Hamsn » 02.12.2005, 1:11

Laut Aussage von Rene schon, ja!
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